(zettel (meta (author "Detlef Stern") (backward "20210814180000") (box-number "1") (created "20210206160000") (folge "20210814180000") (forward "20200913120000") (modified "20231123153442") (precursor "20200913120000") (published "20231123153442") (role "post") (syntax "zmk") (tags "#bericht") (title "Retrospektive Wintersemester 2020/21") (visibility "public")) (rights 4) (encoding "") (content "Auch im Wintersemester 20/1 wurde wieder rein online gelehrt und gelernt, nicht nur im Fach \"\"Einführung in das Projektmanagement\"\".\nWie schon im Sommersemester 20 konnte auch diesmal das Agile Studieren seine Leistungsfähigkeit unter den Bedingungen der Notfallonlinelehre zeigen.\n\nAgiles Studieren setzt im Kern auf die Arbeit in Gruppen.\nDie Ergebnisse der Arbeiten können, insbesondere wenn sie verbesserungswürdig sind, sowohl in der Gruppe als auch im großen Plenum besprochen werden.\nJede Gruppe entscheidet, wie ich als Professor sie am besten unterstützen kann.\nNatürlich kann eine Gruppe auch entscheiden, keine Hilfe in Anspruch zu nehmen oder sich mit anderen Gruppen abzustimmen.\n\n=== Gruppeneinteilung\nWie schon im [[letzten Semester|20200913120000]] haben sich etwas mehr als 80 Studenten zum Agilen Studieren angemeldet.\nWieder habe ich diese in 12 Gruppen eingeteilt, wieder mit Hilfe meiner sehr hilfreichen Software zur Gruppeneinteilung (als Open Source verfügbar), wieder aufgeteilt in Gruppen mit Studenten aus dem 2. Fachsemester und in Gruppen mit Studenten aus höheren Semestern.\n\nWie üblich war zu Beginn die kommunizierte Motivation groß.\n\nMich hat lediglich gewundert, dass nur etwa die Hälfte der Studenten, die im 2. Fachsemester sind, sich auch für das Agile Studieren anmeldete.\nDiese Studenten begannen ihr Studium im Sommersemester 20 unter den Bedingungen der Notfallonlinelehre, haben den Hochschulcampus nicht wirklich kennengelernt.\n\n=== Arbeit im Semester\nWer dachte, das zweite Online-Semester würde einfacher werden als das erste, der sah sich getäuscht.\nZwar war die notwendige technische Infrastruktur ausreichend, doch wurde eher wenig seitens der Studenten davon Gebrauch gemacht.\n\nZuerst manifestierte sich das in ausgeschalteten Kameras, nicht nur beim Agilen Studieren.\nDieses Phänomen äußerte sich selbst in sehr interaktiven Projektstudien im Masterstudiengang.\nAn technischen Problemen lag das laut Rückmeldungen nicht.\nManchmal wurde etwas von Privatsphäre geäußert, die man per Kamera anderen Studenten preisgeben würde.\nWas da der wirklich tiefere Grund sein könnte, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.\n\nRecht schnell nahm die Teilnahme am Online-Präsenztermin ab.\nWaren im Sommersemester im Durchschnitt 50 Teilnehmer dabei, nahm in diesem Semester die Zahl der Teilnehmer nach wenigen Wochen von 80 auf unter 20 ab.\nLediglich zum Gastvortrag waren wieder 44 dabei.\nDas ist zwar immer noch mehr, als vor der Online-Lehre, aber doch überraschend.\n\nEine vermutete Erklärung wäre, dass parallel zum Online-Präsenztermin zwei Lehrveranstaltungen auf dem ersten Semester stattfanden, und zwar in Fächern, bei denen die Bestehensquote eher nicht so hoch ist.\nDas würde erklären, weshalb Studenten aus dem 2. Fachsemester wenig mit mir interagierten.\nAber das ist nur eine Vermutung.\n\nInsgesamt spiegelte sich die (relativ) geringe Beteiligung auch an den Ergebnissen der Gruppenarbeit wider.\nEs wurden weniger Themen bearbeitet, etwa so viel, wie vor einem Jahr.\nAuch wurde nicht so viel auf die Qualität geachtet, obwohl Qualitätsmanagement sowohl im Projektmanagement selbst eine zentrale Rolle spielt, wie auch in der Entwicklung von Software.\n\nZudem wollten diejenigen, die zum Online-Präsenztermin erschienen keine Übersichtpräsentationen von meiner Seite.\nNormalerweise ist dazu die Nachfrage wesentlich höher.\nVielleicht erklärlich, wenn die Studenten im 2. Fachsemester tendenziell nicht dabei waren und die Studenten aus den höheren Semestern diese Präsentationen schon kannten.\n\nVon meiner Seite hatte ich auch dieses Semester, wie schon im letzten Semester, mit zwei Problemen zu kämpfen.\n\n12 Gruppen sind zu viel für einen Professor.\nWenn die 12 Gruppen wirklich alle 14 Tage bis zu 30 Lösungsvorschläge übermitteln, dann ist man schnell für fast einen gesamten Tag mit der Bewertung beschäftigt.\nUnd das trotz leistungsfähiger Software (ebenfalls als Open Source verfügbar).\n360 Lösungsvorschläge und eine Minute pro Bewertung sind dann sechs Stunden.\nDas ist zu viel.\n\nZum anderen weisen viele Lösungsvorschläge so gravierende Qualitätsmängel auf, das diese die Gruppe beim Zustimmen hätte selbst entdecken können.\nEin Student meinte einmal lapidar, warum er und die anderen vor dem Zustimmen lesen sollten, wenn ich als Professor das doch beim Bewerten sowieso machen würde.\nMir blieb vor seiner Ehrlichkeit und dem fehlenden Lernbewusstsein die Antwort im Halse stecken.\n\nNachdem ich lange nachgedacht hatte, erkannte ich einige Stellschrauben, um die Probleme zu mindern.\n\nWer sagt denn, dass es immer 30 Lösungsvorschläge sein müssen, die eine Gruppe maximal in zwei Wochen zur Bewertung abgeben darf?\nDie Zahl 30 hatte ich ermittelt, da jede Gruppe im Durchschnitt 15 Themen erfolgreich bearbeiten muss, damit die Gruppe alle Themen im Semester erfolgreich bearbeiten kann.\nUnd so habe ich frühzeitig kommuniziert, dass offensichtliche Qualitätsmängel, welche die Gruppen schon durch Lesen hätten selbst entdecken könnten, die Maximalzahl an Lösungsvorschlägen pro zwei Wochen vermindert.\n\nAktuell kennt die von mir entwickelte Software nur einen gemeinsamen Maximalwert für alle Gruppen.\nDamit würden die aufmerksamen Gruppen potentiell benachteiligt werden.\nIn der Praxis war dies in diesem Semester nicht so.\nEs hat gereicht, die Zahl der Vorfälle alle zwei Wochen zu zählen und den Wert durch die Anzahl der Gruppen zu teilen, um einen Durchschnittswert zu ermitteln.\nDie Maximalanzahl an Lösungsvorschlägen pro zwei Wochen habe ich nach erfolgter Bewertung um den halben Durchschnittswert verringert.\nSo wurden aus 30 schnell 24, dann 22, 20, 19 und zum Ende 18 Lösungsvorschläge, die eine Gruppe abgeben konnte.\nDie Qualität der Lösungsvorschläge hat sich gravierend verbessert.\n\nZum anderen werde ich ab dem nächsten Semester die Teilnehmer in maximal acht Gruppen pro Professor einteilen.\nDabei kommen Studenten im 2. Fachsemester in potentiell kleinere Gruppen.\nDie Studenten aus höheren Semestern haben entweder das Fach \"\"geschoben\"\" oder die Prüfung mindestens einmal nicht bestanden.\nGerade letztere Entscheidungen und Ergebnisse führen zu so hohen Zahlen an Teilnehmern.\n\nDer Studiengang hatte bis zum Wintersemester 40 Studienplätze.\nAufgrund mir nur in Teilen nachvollziehbarer Entscheidungen wurde in diesem Wintersemester die Zahl auf 60 erhöht.\nTatsächlich haben 80 Studenten im Wintersemester das Studium begonnen, werden also potentiell im kommenden Sommersemester am Agilen Studieren teilnehmen.\nMich freut das Interesse am Fach Wirtschaftsinformatik.\nDazu kämen diejenigen, welche die Prüfung nicht bestanden hätten.\nDas ergibt Zahlen an Teilnehmern, die ein Agiles Studieren, wie auch jede andere Form an interaktiver Lehrveranstaltung, schwieriger machen.\n\nAber vielleicht gibt es doch noch seitens der Stellen, welche die Entscheidung zur Erhöhung der Anzahl der Studienplätze getroffen und/oder welche viele zum Studium im Studiengang zugelassen haben, die Möglichkeit, durch finanzielle Mittel zwei parallele Lehrveranstaltungen anzubieten, um so die Gruppengröße nicht zu groß werden zu lassen.\nDie Hoffnung stirbt zuletzt, auch wenn meine eigenen Bemühungen zu negativen Ergebnissen geführt haben.\n\nAgiles Studieren skaliert mit der Anzahl der Teilnehmer.\nMan benötigt \"\"nur\"\" pro 60 Studenten einen Professor bzw. ggf. Lehrbeauftragten.\n\n=== Ergebnisse der Klausur\nDer Konjunktiv am Ende des drittletzten Absatzes deutet es an: es gab keine Klausur, es gab keine Prüfung.\nDie Präsenzprüfungen sind auf einen Zeitraum Anfang Mai 21 verschoben worden.\nDas ist für viele nicht angenehm, aber auf jeden Fall besser, als die Klausur in Präsenz stattfinden zu lassen.\n\nFür die Klausur haben sich 100 Studenten angemeldet.\nBei der gegebenen Infrastruktur läuft diese Anzahl auf eine Präsenzklausur hinaus.\nIm Unterschied zu Universitäten arbeiten an Hochschulen vernachlässigbar wenige wissenschaftliche Mitarbeiter, die auch inhaltlich unterstützen können.\nÜbrigens auch bei einer parallelen Durchführung einer Lehrveranstaltung, siehe oben.\nZudem leisten Professoren grob den doppelten Lehrumfang wie die Kollegen an Universitäten, müssen also (grob) doppelt so viele Fächer prüfen.\nTatsächlich haben sich in einem anderen Fach ebenfalls ca. 100 Studenten zur Klausur angemeldet.\nAll das könnte man ändern, aber nicht in diesem oder nächsten Semester, wenn überhaupt.\n\nGenug des Jammerns, die Situation ist wie sie ist.\n\nIch habe mir lange überlegt, welche alternativen Prüfungsformen ich statt einer Klausur anbieten könnte.\nDabei muss ich die zu prüfenden Kompetenzen ebenso berücksichtigen, wie die notwendigen Vorbereitungen und ein anderes Lernen der Studenten.\nBei jeder Änderung einer Prüfungsform gewinnen einige, während andere es schwerer haben.\nZudem muss eine Prüfungsinfrastruktur vorhanden sein, auch bei den Studenten.\n\nDa so viele im Semester ihre Kamera nicht eingeschaltet hatten, war für mich zum Beispiel frag-würdig, ob eine Klausur online durchgeführt werden kann.\nNach einem kleinen Test kam heraus, dass viele Studenten Probleme haben, ihre Kamera über einen etwas längeren Zeitraum überhaupt störungsfrei zu betreiben.\n\nEine mündliche Online-Prüfung hätte für die 200 Studenten (100 für dieses Fach, 100 für das andere) etwa zwei Wochen gedauert.\nDas ist die Erfahrung aus dem letzten Semester.\nDer Prüfungszeitraum dauert drei Wochen und ich hatte noch Prüfungen aus fünf anderen Fächern.\n\nEine Benotung auf Basis der Gruppenarbeiten hätte zu Beginn angekündigt werden müssen, führt aber sowieso nicht zu individuellen Noten (eine Vorgabe der Prüfungsordnung).\n\nUnd so weiter und so fort.\n\nBis mir klar geworden ist, dass ich selbst diese Situation nicht herbeigeführt habe, mir aber nahegelegt wird, dass ich diese Situation aber tendenziell alleine lösen soll.\nNatürlich könnte ich den heldenhaften Professor spielen, der sich für seine Studenten und im Kampf gegen verwaltungstechnische Widrigkeiten aufopfert.\nAber warum sollte man das tun?\nDank darf man nicht erwarten, kommt auch sonst sehr selten vor.\n\nIn einem früheren Leben als Leiter einer Softwareentwicklung (und noch früher in meiner Tätigkeit als Berater für Softwareentwicklungsprozesse) habe ich gelernt, nicht zu inkompatibel zu meiner Umgebung zu werden.\nWas hilft es, wenn man Datenmodelle innerhalb von Stunden bis hinunter zur Datenbank ändern kann, wenn die eigentliche Abteilung für die Datenbanken dazu immer sechs Monate benötigt?\n(Ist tatsächlich so passiert, wenn auch noch im Jahre 2002).\n\nAuch hier: was hilft es, eine Klausur in eine andere Prüfungsform umzuwandeln, inklusive aller Anpassungen an die Lehrveranstaltung selbst und unter Berücksichtigung aller Stakeholder (da gibt es viele!), wenn in der gesamten Hochschule trotzdem jede Menge Klausuren geschrieben werden hätten sollen und die nun alle in den Mai verschoben werden?\n\nOder: warum soll ich die Prüfungsform wandeln, wenn viele Studenten laut eigener Aussagen sowieso nicht das Bedürfnis zur Vorbereitung verspüren, da ein Nichtbestehen keine Konsequenzen hat?\n\nIch engagiere mich für jeden Studenten, der sein Wissen und seine Fähigkeiten vertiefen will.\nIch könnte mir mein Leben als Professor an einer Hochschule sehr einfach machen, nur auf eine althergebrachte Art und Weise lehren und Kritik von außen ignorieren.\nIch könnte, wie viele, die Lehre an sich ignorieren und mich allein auf Forschung konzentrieren.\nStatt dessen versuche ich mir für jeden Studenten Zeit zu nehmen, wenn diese sich verbessern möchte.\n\nAber, ich kann nicht jedes Problem mehr oder minder alleine lösen.\nNatürlich gibt es Unterstützung seitens des Studiengangs und der Fakultät.\nAber letzten Endes muss man Probleme alleine lösen.\nUnd in diesem Fall sind es Probleme, die nicht ich verursacht habe.\n\nIch konzentriere mich auf das, was ich ändern kann und lasse alles andere diejenigen ändern, die es können.\nIn diesem Beispiel habe ich alles an die Hochschule delegiert.\n\n=== Ausblick\nAuch das nächste Semester wird wohl rein online stattfinden.\nDarauf können und sollten sich alle einstellen.\nVielleicht sollte sich der eine oder die andere überlegen, es doch einmal mit der eingeschalteten Kamera zu probieren.\nAuch wenn man dann einen Teil seines Zimmers aufräumen oder abhängen muss.\nEin Toncheck ist sicher ebenfalls nicht verkehrt, wie auch ein Ersatzcomputer, z.B. ein Tablet.\n\nJenseits aller aktuellen und kommenden Probleme sehe ich Agiles Studieren als eine sehr sinnvolle Alternative zu traditionellen Vorlesungen an, selbst wenn diese interaktive Elemente enthalten sollten.\n\nAgiles Studieren skaliert auch zwischen Online und Präsenz.\nSollte zum Beispiel im kommenden Sommersemester sich die Situation so entspannt haben, dass von einer Woche auf die nächste wieder „echte“ Präsenzveranstaltungen möglich sind, so ist das fürs Agile Studieren kein Problem.\nDann treffen wir uns in einem Vorlesungsraum und nicht im Konferenzsystem.\n\nIch selbst bin gespannt, wie alles mit den zu erwartenden Anzahlen an Teilnehmern klappt.\n80 Studenten im 2. Fachsemester treffen ab Anfang März dann auf ca. 100 Studenten, die ihre Klausur im Mai schreiben.\nZusätzlich kommen noch die Studenten aus dem jetzigen 2. Fachsemester dazu, die dieses Mal nicht am Agilen Studieren teilnahmen.\nGeschätzt sind das weitere 30 Studenten.\n\nAber darüber habe ich mir schon Gedanken gemacht."))