Wer meint, die Lehre in einem gut abgehangenen Fach wie Projektmanagement, würde mit der Zeit langweilig werden, der täuscht sich. Dieses Sommersemester 2021 stand größtenteils unter dem Eindruck der zeitlich verschobenen Prüfungen des Wintersemesters. Diese wurden neu für den Mai 2021 terminiert, also mitten ins Sommersemester hinein. Gruppeneinteilung Die Erfahrung der letzten Semsters zeigte, das 10 Gruppen ein gesundes Maximum ist, was eine Lehrperson beim Agilen Studieren betreuen sollte (mit 16 Unterrichtsstunden in anderen Fächern). Zugleich ergab eine (pessimistische) Hochrechnung, dass im schlimmsten Fall etwa 210 Studenten am Agilen Studieren teilnehmen könnten: 100 hatten sich zur Prüfung im Wintersemester angemeldet, 80 hatten das erste Semester begonnen und könnten ins zweite Semester wechseln, ca. 30 hatten im Wintersemester nicht am Agilen Studieren teilgenommen und sich daher auch nicht für die Prüfung angemeldet. Bei einer optimalen Gruppengröße von sieben wären das 30 Gruppen. Zeit für eine weitere Lehrperson. Dummerweise dürfen die Mittel zur Qualitätssicherung in der Lehre nicht für Lehrpersonen verwendet werden. Und alle anderen Mittel kommen erst in Betracht, wenn in den ersten Wochen klar wird, dass die Veranstaltung überfüllt sein könnte. Nun ja, also keine externe Hilfe. Wenn etwas begrenzt ist, dann ist eine Triage ein mögliches Mittel. Dazu habe ich folgende Gruppen definiert: Wer sich im zweiten Studiensemester befindet, der studiert nach Plan und hat so etwas wie einen Anspruch auf die Lehrveranstaltungen des zweiten Semesters, also auch auf Einführung in das Projektmanagement. Wer weder am Agilen Studieren, noch an der Prüfung teilgenommen hatte, könnte zu denen gehören, bei denen externe Umstände eine Teilnahme verhindert haben. Alle anderen haben schon einmal am Agilen Studieren und/oder an der Klausur teilgenommen, bzw. haben sich zur nachzuholenden Klausur des Wintersemesters angemeldet. Um Gruppe 1 vollständig die Teilnahme zu ermöglichen, habe ich die Gruppengröße auf acht Mitglieder festgelegt. Sollten noch Plätze frei sein, kämen Mitglieder der Gruppe 2 zu Zug. Da mir die Mitglieder der Gruppe 3 bekannt sind, habe ich für diese den Zugang zu den Arbeiten im Wintersemester lesenderweise offen gelassen und diese zugleich zwei sehr großen Gruppen (jeweils mehr als 40 Mitglieder) der Lehrveranstaltung für Sommersemester hinzugefügt. Damit war zwar keine Gruppenarbeit möglich (dafür war in den vergangenen Semestern genügend Gelegenheit), aber so hatte jeder Zugang zu aktuellen Änderung bei den zu bearbeitenden Themen. Soweit der Plan und dessen Vorbereitungen. Am ersten Vorlesungstag kam heraus, wie pessimistisch die Hochrechnung von erwarteten 210 Studenten war. Tatsächlich waren nur ca. 60 der potenziell 80 Studenten des zweiten Semesters anwesend. So konnten alle anwesenden Studenten aus Gruppe 2 beim Agilen Studieren mitarbeiten. Neun der zehn Gruppen waren so gebildet, natürlich mit meiner Open-Source-Software zur Gruppeneinteilung. Aus der Triage-Gruppe 3 sprachen mich einige Studenten an, ob ich sie nicht in die letzte freie Gruppe einteilen könnte. Ich bat diese, sich zwei Wochen zu gedulden, da evtl. einige aus der Triage-Gruppe 1 den Termin verpasst haben könnten und diese quasi einen Anspruch auf Teilnahme hätten. Nach diesen zwei Wochen hatte sich niemand mehr gemeldet. Weder Zweitsemester, die den Termin verpasst hatten, noch diejenigen, die mich ansprachen. Wer nicht will, der hat schon. So begannen 70 Studenten mit dem Agilen Studieren. Wie üblich war zu Beginn die kommunizierte Motivation groß. Arbeit im Semester Auch das dritte Online-Semester war nicht einfacher als die vorhergehenden. An die nicht aktivierten Kameras hatte ich mich schon gewöhnt. Auch der Hinweis auf die beobachte Korrelation zwischen Erfolg in den Prüfungen und videobasierter Mitarbeit an Lehrveranstaltungen brachte nichts. Bis Ende April wurde die Mitarbeit in den Online-Präsenzterminen von denen dominiert, die für die nachzuholende Prüfung des Wintersemester angemeldet waren. Nachvollziehbar, denn diese hatten Zugriff auf die zu bearbeitenden Themen und wollten wissen, ob ihre Lösungsideen angemessen waren. Die Gruppenarbeit war, über alles betrachtet, relativ dürftig. Eine (teilweise) Erklärung ist die, dass in diesem Semester diejenigen fehlten, die schon einmal an der Klausur teilgenommen hatten, wenn auch nicht erfolgreich. These: wer eine Prüfung einmal nicht bestanden hat, versucht vieles, um sich beim nächsten Mal zu verbessern. Eine andere mögliche Erklärung ist der fehlenden Zusammenhalt in einer Online-Gruppe, besonders in einer für alle ungewohnten Umgebung. Ansonsten wurde auch in diesem Semester zunächst eher wenig auf ein gruppeninternes Qualitätsmanagement geachtet, mit der schon im letzten Semester erfolgten Konsequenz, dass die Gruppen in den Arbeitsphasen weniger Lösungsvorschläge zur Begutachtung einreichen konnten. Immerhin war es in diesem Semester nicht ganz so extrem, wie im Wintersemester. Dafür lies der Arbeitseinsatz einzelner stark nach. Insgesamt wollten im Laufe des Semesters 23 Studenten nicht mehr in der Studiengruppe mitarbeiten. Eine Gruppe hatte sich vollständig aufgelöst. Aber es gab auch immer wieder sehr schöne Lösungsvorschläge oder gute Gespräche in den Online-Präsenzterminen. Das insbesondere auch im Vergleich zu anderen, eher als interaktive abgehaltene Lehrveranstaltungen. Nach den im Mai nachgeholten Prüfungen für das Wintersemester änderte sich alles. Wer diese Prüfung bestanden hatte, war nicht mehr anwesend. Also diejenigen, die vorher aktiv mitarbeiteten. Zum Ausgleich wurden andere aktiver, aber eher nicht diejenigen, welche die Prüfung im Mai nicht bestanden hatten. Ganz allgemein, nicht nur in dieser Lehrveranstaltung, verringerte sich die Teilnahme signifikant. Also ob alle in den sechs Wochen Pause aus dem Rhythmus gekommen wären. Ergebnisse der Klausuren Mit der gleichen Begründung, weshalb die Prüfungen im Wintersemester nicht stattfinden konnten, wurde begründet, weshalb die nachzuholenden Prüfungen im Mai nicht in Präsenz stattfinden konnten. Nun ja. Eine mündliche Onlineprüfung kam für mich, bei ca. 100 zur Prüfung angemeldeten Studenten, nicht in Frage. Eine Online-Klausur, bei der die Studenten durch eine Überwachungssoftware am Austausch von Lösungen gehindert werden sollen, lehne ich als Informatiker strikt ab. Wir haben genug Überwachungssoftware. Herausgekommen ist eine, von meiner Hochschule vorgeschlagene, technisch recht einfache Lösung. Vor Beginn der Prüfung laden sich die Studenten die Aufgaben aus unserem Lehrmanagmentsystem herunter und bearbeiten diese wie gewohnt handschriftlich. Nach Ende der Prüfung scannen oder fotografieren die Studenten dann die Blätter und laden alles wieder ins Lehrmanagementsystem. Eine Ehrenworterklärung muss gleichzeitig abgegeben werden. Es sind alle Hilfsmittel erlaubt, nur nicht die Zusammenarbeit mit anderen Personen. Damit ändert sich eine Klausurprüfung in eine Art zeitlich befristete Seminararbeit. Durch das Handschriftliche werden Copy/Paste-Täuschungsversuche etwas schwerer. Natürlich muss nun die Art der Aufgaben geändert werden. Reine Wissensfragen sind nun wenig angemessen. Es kommt nun mindestens auf das Verständnis an. Wie ich finde, das Mindeste, was man von einer Hochschulausbildung selbst im ersten Semester erwarten sollte. Verständnis setzt Wissen voraus. Aus den locker 20 Aufgaben wurden nun fünf Aufgaben, von denen ich eine sogar auf Twitter ankündigte. Eine andere Aufgabe bestand darin, selbst Aufgaben aus einem definierten Teilgebiet, inklusive korrekter Musterlösung, zu definieren. Also das, was man sowieso macht, wenn man sich für eine Prüfung vorbereitet. Trotz der grundlegenden Änderungen sollte die Prüfung etwa ähnlich anspruchsvoll wie frühere Prüfungen sein. Um die technischen Abläufe zu üben, insbesondere die des Scannens/Fotografierens&Hochladens, fanden mehrere Probedurchläufe statt. Das Ergebnis der nachgeholten Prüfungen des Wintersemesters im Mai war angemessen. Die Bestehensquote lag wieder grob bei 50%. Natürlich sollte diese besser bei 80-90% liegen, ohne Frage. Dafür müsste die Mitarbeit in der Lehrveranstaltung umfangreicher sein, besonders von studentischer Seite. Die gestaltet sich online mit deaktivierter Kamera etwas schwierig. Insofern habe ich die 50% erwartet. Wenn ein Großteil in der Klausur eine Aufgabe, die beim Agilen Studieren in mehreren Themen zu Bearbeitung angeboten wurde, nicht bearbeitet werden kann, dann ist diese Quote die Konsequenz. Die zweite, gewissermaßen reguläre Klausur fand ebenfalls Online als Open-Book-Klausur statt. Knapp 110 Studenten hatten sich dazu angemeldet. Rein numerisch war schon vorher klar, dass einige dabei sein müssen, die noch nie am Agilen Studieren teilgenommen hatten. Für einige dieser Studenten war dies sogar die erste Prüfungteilnahme in diesem Fach. Mutig. Der Mut wurde natürlich durch die Freischussregelung unterstützt, nach der ein reguläres Nicht-Bestehen der Prüfung keinerlei Konsequenzen hat. Einige nahmen sogar nicht einmal an den Probedurchläufen teil, um den Ablauf zu üben. Da eine individuelle Prüfungseinsicht für die Prüfung im Mai weder vorgesehen noch vernünftig durchführbar war, hatte ich die Klausuraufgaben im Online-Präsenztermin mit allen Anwesenden nach Ankündigung durchgesprochen. So wussten diejenigen, die an der Prüfung teilgenommen hatten, was sie angemessener hätten schreiben sollen. Die anderen lernten so den Typus der Prüfungsaufgaben kennen. Die neue Klausur bestand wieder aus fünf Aufgaben, von denen drei de facto sehr ähnlich in der Mai-Klausur standen: die auf Twitter angekündigte Aufgabe, die Aufgabe, bei der man Ausgaben definieren sollte und eine Aufgabe, bei der man Risiken vollständig formulieren sollte (diesmal allerdings aus einem anderen Gebiet). Alle diese Hilfen haben nichts genützt. Die Bestehensquote liegt diesmal bei nur 30%. Überproportional haben diejenigen die Prüfung bestanden, die entweder im Online-Präsenztermin oder in ihren Studiengruppen aktiv mitgearbeitet haben. Das ist aber nur eine erwartbare Korrelation. Wer nicht mitarbeitete, hat die Prüfung auch nicht bestanden. Das ist ebenfalls erwartbar. Die um 20 Prozentpunkte geringere Bestehensquote ließe sich grob mit den oben als „mutig“ bezeichneten Prüfungsteilnehmern erklären. Dazu kommt die oben angesprochene dürftige Bearbeitung der Themen und die geringe aktive Mitarbeit an den Online-Präsenzterminen, besonders von denen, welche die Mai-Klausur nicht bestanden haben. Allerdings bin ich da etwas vorsichtig und werde etwas der vorlesungsfreien Zeit zur tiefer gehenden Analyse nutzen. Fazit Online-Lehre ist für alle eine besondere Herausforderung, gerade was das selbstständige Lernen (aka Studieren) angeht. Die oben beschriebenen Probleme beschränken sich nicht auf dieses eine Fach. Die reinen Prüfungsergebnisse mögen beim Agilen Studieren nicht wesentlich anders sein, als bei anderen Lehrformen (die meist keine Lernformen sind). Wenn in der Studiengruppe gemeinsam gearbeitet wird, dann unterstützt dies soziale Kompetenzen. Das zeigen z.B. spätere Projektstudien. Wenn in der Gruppe nicht gemeinsam gearbeitet wird, dann besteht kein Unterschied zu einer normalen Vorlesung. Darüber hinaus gibt Agiles Studieren allen Beteiligten rechtzeitig Rückmeldungen über den Stand des Gelernten. Für mich waren die Bestehensquoten keine Überraschung. Auch deshalb bot ich die weiteren Hilfestellungen an. Vielleicht nehmen die meisten erst mit genügend (Lebens-?) Erfahrung Rückmeldung auch erst wirklich an. Gibt es dazu Forschungsergebnisse? Trotz allem ist Agiles Studieren recht robust gegenüber extern verursachten Änderungen. Die Änderung zur Online-Lehre hat ebenso zu vorhersehbaren, ähnlichen Ergebnissen geführt, wie die Änderung der Prüfungsform, und das im Vergleich zu normalen Veranstaltungen. Ausblick Das nächste Semester soll wieder in physischer Präsenz stattfinden. Ob dieser Plan Wirklichkeit wird, bleibt abzuwarten. Nach den aktuellen Regelungen und der (pessimistischen) Schätzung der Anzahl der Teilnehmer auf 130, ist es nicht unwahrscheinlich, dass gerade die Lehrveranstaltungen in den unteren Semestern als Hybrid-Veranstaltung angeboten werden müssen. Die Räume der Hochschule sind auf diese Zahlen mit den aktuell geltenden Regelungen nicht ausreichend groß. Mir selbst wäre eine andere Form von Hybrid-Veranstaltung lieber: nicht gleichzeitig online und offline sein (und so de facto den Online-Teil qualitativ schlecht dastehen lassen), sondern lieber alternierend online und offline sein. Dazu müssten allerdings die Stundenpläne angepasst werden, denn eher wenige werden wegen einer Offline-Vorlesungsstunde für den Rest des Tages in die Hochschule pendeln.